Einwilligungsfähigkeit des erwachsenen Patienten
OLG Koblenz, Urteil vom 1. Oktober 2014 – 5 U 463/14
Die Einwilligungsfähigkeit ist beim erwachsenen Menschen die Regel. Stellt der Patient sie in Abrede, muss er sein Vorbringen grundsätzlich beweisen. Einen Erfahrungssatz, dass starke Schmerzen die Einwilligungsfähigkeit immer einschränken oder gar aufheben, gibt es nicht.
Die Klägerin verlangte ernstinstanzlich ein Schmerzensgeld von 10.000 € wegen einer durchgeführten Gallenblasenoperation. Sie trug vor, sie sei über die Gefahr der (unstreitigen) Verletzung der arteria hapatica dextra nicht aufgeklärt worden. Dies habe zum Absterben der rechten Seite der Leber geführt. Die Beklagte erwiderte, wegen einer äußerst seltenen anatomischen Besonderheit habe der operierende Arzt einen Ast der Arterie in der Annahme durchtrennt, es handele sich um die arteria cystica. Dass es sich um einen Ast der arteria hepatica dextra gehandelt habe, sei nicht erkennbar gewesen. Das Landgericht hielt bereits die Operationseinwilligung der Klägerin für unwirksam, weil die Patientin durch starke Schmerzen beim Aufklärungsgespräch derart beeinträchtigt gewesen sei, dass ihr die Einwilligungsfähigkeit gefehlt habe.
Die zulässige Berufung war begründet und führte zur umfassenden Abweisung der Klage.
Dass Patienten wegen eines akuten Gesundheitsproblems mit starker Schmerzsymptomatik zur stationären Behandlung in ein Krankenhaus kommen, ist Klinikalltag. Einen Erfahrungssatz dahin, dass Schmerzen, die in ihrem Schwergrad und dem Einfluss auf die kognitiven Fähigkeiten des Patienten schon objektiv nicht verlässlich einschätzbar sind, jenseits der auch subjektiv kaum fassbaren Schwellen zwischen "einfachem", "starkem" und "unerträglichem" Schmerz die Einwilligungsfähigkeit des Patienten immer einschränken und letztendlich sogar völlig aufheben, gibt es nicht. Eine Ausnahme ist dann zu machen, wenn eine Gesamtschau der unstreitigen medizinischen Fakten eine eindeutig fehlende Einwilligungsfähigkeit nahelegen.
Auch der von starken Schmerzen gepeinigte Patient kann im Einzelfall noch derart aufnahmefähig, bewusstseins- und entscheidungsklar sein, dass er die ärztlichen Sachinformationen bei der Aufklärung verstehen, autonom verarbeiten und auf dieser Grundlage eine eigenverantwortliche Entscheidung treffen kann. Andererseits ist an einen psychisch besonders labilen Patient zu denken, der die medizinisch belanglose Bedeutung geringer Schmerzen fehlinterpretiert und sich dadurch in einen Angst- oder Erregungszustand hineinsteigert, der seine Einwilligungsfähigkeit einschränkt oder sogar aufhebt, ohne dass äußere, dem Arzt erkennbare Anzeichen bestehen.
Vorliegend kam hinzu, dass die Patientin am Einlieferungstag zunächst allgemein, einen Tag später nach Gabe von schmerzmindernden Medikamenten erneut durch den Anästhesist aufgeklärt worden war. Der operative Eingriff fand zudem erst 3 Tage später statt. Dass die Risikoaufklärung im Ergebnis ausreichend war und die Verletzung auch keinen ärztlichen Fehler des Chirurgen darstellte, hatte bereits das Landgericht festgestellt.
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