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Aufklärung über bestehendes Sturzrisiko im Krankenhaus | Anwalt für Medizinrecht

BGH, Beschluss vom 14.11.2023 - VI ZR 244/21

Dem Krankenhausträger obliegt die vertragliche Pflicht, notwendigen und zumutbare Vorkehrungen zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Patienten zu treffen, um zu verhindern, dass sich ein auf Grund der konkreten Situation für den Patienten bestehendes Sturzrisiko verwirklicht.

 

Die Kläger sind die Erben der verstorbenen Patientin (P.). Der 66-jährigen P. wurde eine Knieendoprothese implantiert. Der postoperative Verlauf war zunächst unauffällig. Zwei Tage nach der OP erschien die P. zunehmend desorientierter. Ein CT ergab keinen Befund. Wegen anhaltender Verwirrtheit wurde sie für eine Nacht auf die Intensivstation verlegt. Am nächsten Tag wurde sie in ihr Stationszimmer zurückverlegt. Es wurde ein "extrem hohes Sturzrisiko" angenommen, das auf der Sturzrisikoskala mit 12 Punkten bewertet wurde. Im Laufe des Vormittags stürzte die P. im Beisein einer Pflegekraft - unverletzt. Beim Mittagessen stürzte die P. von der Bettkante sitzend. Dabei erlitt sie eine Unterschenkelmehrfachfragmentfraktur links. Im Weiteren ergaben sich Komplikationen, die dazu führten, dass der P. der linke Unterschenkel und nach einem erneuten Sturz auch der linke Oberschenkel amputiert werden musste. Die Kläger sind der Meinung, dass der Zustand der P. beim Mittagessen weitere Schutz- und Obhutsmaßnahmen erfordert hätte, deren Unterlassen einen groben Behandlungsfehler darstelle. Die P. sei darüber hinaus auch nicht darüber aufgeklärt worden, dass sie sich nicht alleine mobilisieren dürfe.

 

Das OLG hat die Berufung zurückgewiesen. Das OLG ging insbesondere davon aus, dass es nicht erforderlich sei, ein internistisch/geriatrisches bzw. pflegewissenschaftliches Gutachten zu der Frage einzuholen, ob der Zustand der P. besondere Schutz- oder Pflegemaßnahmen erfordert hätte. Die Nichtzulassungsbeschwerde (NZB) zum BGH hatte Erfolg und führte zur Aufhebung des Beschlusses und zur Zurückverweisung an das OLG.

 

Wie die NZB zu Recht beanstandete, hatten die Kläger mehrfach geltend gemacht, dass die Anreichung des Mittagessens durch bloßes Abstellen auf dem Nachttisch ohne jede Hilfestellung angesichts des kognitiven und körperlichen Zustands der P. einen groben Pflegefehler darstelle könne. Es sei zu bedenken gewesen, dass sich die P. möglicherweise objektiv unvernünftig verhalte. Die Kläger trugen vor, die Pflegekraft habe das Essen kommentarlos auf den Tisch gestellt, sich entfernt und es der P. überlassen, es irgendwie einzunehmen. Gerade durch das Abstellen des Essens auf dem Nachttisch sei ein Aufsetzen an/auf der Bettkante provoziert und damit ein besonderes Risiko des Sturzes begründet worden.

 

Diesen Vortrag hat das OLG nicht zur Kenntnis genommen oder jedenfalls in gehörswidriger Weise im Kern verkannt. Ob im Hinblick auf das bestehende Gefährdungspotential zum Zeitpunkt des Sturzes zusätzliche Maßnahmen erforderlich waren - und wenn ja, welche - kann ohne medizinische bzw. pflegewissenschaftliche Sachkunde nicht beantwortet werden. Der Gehörsverstoß war folglich entscheidungserheblich und zu korrigieren.

BGH, Beschluss vom 14.11.2023 - VI ZR 244/21

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