Was ist das Hinterbliebenengeld?
BGH, Urteil vom 06.12.2022 - VI ZR 73/21
Das Hinterbliebenengeld dient dem Zweck, den Hinterbliebenen für Beeinträchtigungen unterhalb der Schwelle einer Gesundheitsverletzung eine Entschädigung in Geld einzuräumen. Maßgeblich sind im Wesentlichen die Intensität & Dauer des erlittenen Leids, sowie der Verschuldensgrad.
Die Klägerin nimmt den beklagten Haftpflichtversicherer auf Zahlung eines Hinterbliebenengeldes in Anspruch. Im Jahr 2018 wurde der 81-jährige Vater der Klägerin bei einem Verkehrsunfall getötet.
Die Bestimmungen in § 844 Abs. 3 BGB, welche seit 2017 gelten, gewähren einen Anspruch auf Ersatz eines Nichtvermögensschadens. Sie sehen für immaterielle Nachteile - die seelischen Beeinträchtigungen, die durch den Verlust einer geliebten Person eintreten, wie insbesondere Trauer und Niedergeschlagenheit - eine angemessene Entschädigung in Geld vor. Die Entschädigung soll dem Hinterbliebenen einen gewissen Ausgleich bieten für die seelischen Beeinträchtigungen, die durch den Tod einer geliebten Person eintreten. Auch wenn ein echter Ausgleich nicht möglich ist, soll mit der Entschädigung das mit dem Verlust des Angehörigen verbundene seelische Leid wenigstens gelindert werden. Zugleich soll die Entschädigung aber auch dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Hinterbliebenen für das, was er ihm durch die Herbeiführung des Todes einer geliebten Person angetan hat, Genugtuung schuldet. Wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, lassen sich dabei aus der Art des Näheverhältnisses, der Bedeutung des Verstorbenen für den Anspruchsteller und der Qualität der tatsächlich gelebten Beziehung indizielle Rückschlüsse auf die Intensität des Leids ableiten.
Das Berufungsgericht ist zudem zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei dem Hinterbliebenengeld einerseits und dem Schockschadensersatz andererseits um unterschiedliche Rechtsinstitute handelt. Während der Anspruch auf Gewährung eines Schmerzensgeldes wegen eines Schockschadens aus § 823 I BGB auf der Verletzung eines eigenen Rechtsguts beruht, setzt der Anspruch auf Hinterbliebenengeld aus § 844 III BGB keine über Trauer und seelisches Leid hinausgehende gesundheitliche Beeinträchtigung des Hinterbliebenen im Sinne einer eigenen Gesundheitsverletzung voraus. Dementsprechend knüpft das Hinterbliebenengeld auf der Ebene der Haftungsbegründung an die Verletzung eines fremden Rechtsguts an und sucht erst auf der Ebene der Haftungsausfüllung den eigenen Gefühlsschaden der Hinterbliebenen zu entschädigen. Dass in beiden Fällen der nahestehenden Person eine finanzielle Entschädigung für eigene Beeinträchtigungen erhält, ändert nichts an ihrer unterschiedlichen dogmatischen Herleitung.
Der Betrag in Höhe von 10.000 € (BT-Drucks. 18/11397) bietet eine Orientierungshilfe für die Bemessung der Hinterbliebenenentschädigung, von der im Einzelfall sowohl nach unten als auch nach oben abgewichen werden kann. Der Betrag stellt keine Obergrenze dar.
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