top of page

Entscheidungskonflikt und hypothetische Einwilligung

BGH, 21.06.2022 - VI ZR 310/21; OLG Brandenburg, 08.12.2022 - 12 U 21/21

Feststellungen darüber, wie sich ein Patient bei ausreichender Aufklärung entschieden hätte, und ob er in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre, darf der Tatrichter grundsätzlich nicht ohne persönliche Anhörung des Patienten treffen.

Der Kläger stellte sich bei dem Beklagten zur Durchführung eines refraktiven Eingriffs bei Kurzsichtigkeit vor. Der Beklagte führte unter Vollnarkose eine LASIK-Laserbehandlung am rechten Auge durch. Während des Eingriffs kam es zu einer Verdrehung des Augapfels, so dass sich der Laserschnitt dezentrierte. Der Beklagte brach daraufhin die LASIK-Behandlung ohne Flapöffnung ab und führte stattdessen an beiden Augen eine photorefraktive Keratektomie (nachfolgend PRK) durch. Der Kläger wirft dem Beklagten vor, nach Eintritt der Schnittkomplikation den Eingriff nicht abgebrochen zu haben, sondern durch Wechsel auf die PRK fortgeführt zu haben, wodurch bei ihm ein irregulärer Astigmatismus, eine Sehverschlechterung, Narbenbildung, Trockenheit und Schmerzhaftigkeit der Augen eingetreten seien.

 

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH darf der Tatrichter Feststellungen darüber, wie sich ein Patient bei ausreichender Aufklärung entschieden hätte, und ob er in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre, grundsätzlich nicht ohne persönliche Anhörung des Patienten treffen. Durch die persönliche Anhörung soll vermieden werden, dass das Tatgericht für die Verneinung eines Entscheidungskonflikts vorschnell auf das abstellt, was bei objektiver Betrachtung als naheliegend oder vernünftig erscheint, ohne die persönlichen, möglicherweise weniger naheliegenden oder als unvernünftig erscheinenden Erwägungen des Patienten ausreichend in Betracht zu ziehen. Die persönliche Anhörung soll es dem Gericht ermöglichen, den anwaltlich vorgetragenen Gründen für und gegen einen Entscheidungskonflikt durch konkrete Nachfragen nachzugehen und sie auch aufgrund des persönlichen Eindrucks vom Patienten sachgerecht beurteilen zu können. Nach diesen Grundsätzen hätte das Berufungsgericht nicht von einer Anhörung absehen dürfen.

 

Im Ergebnis konnte ein Behandlungsfehler des Beklagten  bei der Durchführung des Eingriffs - nach Zurückverweisung an das Berufungsgericht nicht festgestellt werden. Nach Anhörung der Parteien in der mündlichen Verhandlung war der Senat davon überzeugt (§ 286 ZPO), dass der Beklagte den Kläger ordnungsgemäß darüber aufgeklärt hat, dass es bei Komplikationen bei der Durchführung des LASIK-Verfahrens unter Vollnarkose zu einem Wechsel der Operationsmethode auf das PRK-Verfahren kommen kann und der Eingriff in diesem Fall an beiden Augen nach dem PRK-Verfahren fortgeführt werden sollte. Dies wird insbesondere durch die handschriftlichen Eintragungen des Beklagten in dem verwendeten Formular bestätigt, in dem der Beklagte den entsprechenden Passus unterstrichen und handschriftlich mit dem Zusatz „gerade in Narkose“ versehen hat. Der gerichtliche Sachverständige habe zudem ausgeführt, dass der Kläger entsprechend dem fachärztlichen Standard behandelt worden sei.

KANZLEI WERNER • Ihr Partner für Medizinrecht / Arzthaftungsrecht, Personenschadensrecht & Versicherungsrecht.

Individuelle Keywords: Anhörung, Astigmatismus, Augapfel, Aufklärung, Beklagter, Berufungsgericht, BGH, Entscheidungskonflikt, Fachärztlicher Standard, Flapöffnung, Gerichtlicher Sachverständiger, Kläger, Komplikation, LASIK-Laserbehandlung, Medizinrecht, Mündliche Verhandlung, Narkose, Operationsmethode, Patient, Persönliche Anhörung, Photorefraktive Keratektomie, PRK, Refraktiver Eingriff, Rechtsprechung, Schnittkomplikation, Sehverschlechterung, Tatrichter, Trockenheit, Vollnarkose

bottom of page