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​Nachstationäre Behandlung und Entlassmanagement

BGH, Urteil vom 04.06.2024 - VI ZR 108/23

Das Krankenhaus ist verpflichtet, in einem Entlassplan die unmittelbar erforderlichen Anschlussleistungen festzulegen und in Absprache mit Ärzten und Pflegepersonal die gebotene Nachbehandlung sachgerecht zu strukturieren, zu konkretisieren & mit den Beteiligten zu koordinieren.

Der Kläger (K.) wurde am 29.06.16 in der 25. SW geboren. Weil sich die Gefäße in der Netzhaut vom Sehnerv in die Peripherie ausbilden und dieser Prozess erst mit dem regulären Geburtstermin abgeschlossen ist, besteht bei Frühgeborenen ein besonderes Risiko für eine gestörte Blutgefäßentwicklung der Netzhaut (Frühgeborenen-Retinopathie, (F-R)). Daher wurden beim K. regelmäßige Untersuchungen - zuletzt am 18.10. - vorgenommen. Diese ergaben keine Hinweise auf eine F-R. Am 31.10. wurde der K. nach Hause entlassen. Der reguläre Geburtstermin wäre der 10.11. gewesen. Die Beklagte (B.) empfahl eine Kontrolle in drei Monaten. Am 24.11. wurde beim K. eine F-R diagnostiziert, woraufhin der K. auf dem re. Auge vollständig, auf dem li. teilweise erblindete.

 

Nach Auffassung des OLG haftete die B., weil sie empfohlen habe, sich erst in drei Monaten wieder vorzustellen. Eine Wiedervorstellung sei aber innerhalb von drei Wochen - spätestens am 10.11. - erforderlich gewesen. Dieser Fehler sei als („einfache“) fehlerhafte Sicherungsaufklärung und nicht als Befunderhebungsfehler zu bewerten, insbesondere weil sie die Dringlichkeitsstufe falsch angab. Das OLG nahm daraufhin eine Beweislastumkehr des § 630h Abs. 5 Satz 2 BGB an.

 

Wenn auch das Ergebnis in der Sache richtig war, hob der BGH das Urteil des OLG mit folgender Begründung auf und verwies die Sache an das OLG zurück: Während bei einem Verstoß gegen die Pflicht zur therapeutischen Information eine Beweislastumkehr nicht zur Anwendung komme, finde die Beweislastsonderregel in diesem Zusammenhang nur dann Anwendung, wenn es um Befunderhebungs- oder Befundsicherungsfehler gehe. Vorliegend waren die Versäumnisse der B. (Gesamtbetrachtung: Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit) - entgegen der Auffassung des OLG - jedoch nicht als Fehler der therapeutischen Information, sondern als Befunderhebungsfehler zu qualifizieren, sodass im Ergebnis - nun richtigerweise - die Beweislastumkehr anzuwenden war. 

 

Auch bei arbeitsteiligem Zusammenwirken haben Ärzte auf eine rasche diagnostische Abklärung und gegebenenfalls Therapie hinzuwirken. Ein Krankenhausträger ist i.Ü gem. § 115a SGB V berechtigt, gesetzlich Versicherte im Anschluss an den stationäre Aufenthalt weiter zu behandeln und gemäß § 39 Abs. 1a SGB V verpflichtet, im Rahmen der Versorgungsstruktur für eine sachgerechte Anschlussversorgung zu sorgen. 

 

Der BGH stellte zudem fest, dass die B. die Durchführung der Abschlussuntersuchung und damit die Erhebung von Kontrollbefunden durch falsche Angaben vereitelt habe. Durch die unrichtige Mitteilung, wurde den Eltern des K. die Möglichkeit einer rechtzeitigen Abklärung genommen.

KANZLEI WERNER • Ihr Partner für Medizinrecht / Arzthaftungsrecht, Personenschadensrecht & Versicherungsrecht.

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